Marcel PROUST



Der Vater: ein angesehener Professor der Medizin, die Mutter: eine äußerst kultivierte Frau, Angehörige einer reichen jüdischen Familie, zudem das geborene Muttertier: Die Voraussetzungen für ein gutes, glückliches Leben waren gegeben. Doch das Schicksal versieht Marcel Proust mit mehreren Makeln, die ihm und seinen Nächsten das Leben zur Hölle machen: Er ist von klein auf nervenkrank, krankhaft liebesbedürftig und neurotisch an der Mutter gebunden, leidet an Schlafstörungen und panischen Ängsten. Mit 9 Jahren erkrankt er an Asthma. In der Pubertät entdeckt er seine Homosexualität, die damals als psychische Störung gilt. Er lernt sich zu verstellen. Für den „lebenslänglichen Kranken“ und Liebeskranken ist von da an ein normales, ein glückliches Leben nicht mehr möglich. Umso weniger, dass er sich als der Procrastinator entpuppt, der von den Eltern immer mehr bedrängt wird, endlich etwas zu tun. Aber was? „Was bleibt mir Anderes übrig, entschlossen wie ich bin, weder Rechtsanwalt, noch Arzt, noch Pfarrer zu werden?“. Indes führt er das Dasein eines parasitären Lebemanns, der tagsüber schläft und die Nächte durchfeiert. Erst im Nachhinein erweist sich die Frequentation der oberen Zehntausend als Observatorium, dem das spät entstandene Epos „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, entsprießen wird. Erst nach dem Tod der Eltern, getrieben und verfolgt von dem schuldvollen Bewusstsein, deren größter Kummer gewesen zu sein, und seine Zeit verloren zu haben, strebt der 37jährige ein Werk an. Werk der Erlösung, Schuld und Sühne-Fronarbeit. Proust zieht sich ab dann zurück, lebt in der Vergangenheit, frönt den Erinnerungen, in einem dunklen und überhitzten Zimmer, immer wieder von schweren Asthmaanfällen heimgesucht, von immer höher dosierten Medikamenten und Schlafmitteln vergiftet. Eine wahre Penelope-Arbeit: Sie besteht nicht so sehr im Schreiben, obwohl er fast bis zum letzten Atemzug noch umschreiben, hinzufügen, wegnehmen wird, sie besteht vor allem in der Suche nach einer strukturellen Formgebung und der richtigen Zusammensetzung eines nie beendeten Romans („Contre Sainte Beuve“) und Einfügung Tausender von losen Kommentaren, Artikeln, Kunstkritiken und Beiträgen, welche er schon mit 18 zu schreiben angefangen hat. Besonders innovativ bei der daraus entstehenden Freske erscheint damals die Beschreibung der faszinierenden Macht des Unterbewusstseins, das unsere Subjektivität in Form der unwillkürlichen Erinnerung (la mémoire involontaire) beeinflusst (die berühmte Szene der in Lindenblütentee getunkten madeleine, die ein Glücksgefühl auslöst). 1913 erscheint „Du côté de chez Swann“, das erste von 7 Bänden, die ihrem Autor posthum Weltruhm sichern sollten. Auch dieses Glück wurde ihm nämlich nicht zeitlebens beschert. „Alles kommt irgendwann, selbst das, was sich gewünscht hat, doch es kommt, wenn man es nicht mehr wünscht„.






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